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Freitagabend

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22.12.19 15:25
18 Ab 18 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Handlung und Personen dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten zu realen Personen oder tatsächlichen Geschehnissen sind rein zufällig.

Null Uhr dreißig. Ich sitze in der S-Bahn auf dem Weg nach Marzahn. Gestartet in Lichtenberg, also keine weite Strecke. Nur ein paar Stationen. Es geht wieder los. Auf das übliche Open-Air. So wie die letzten Wochenenden auch. Ich wundere mich immer wieder, warum die Polizei seit Wochen nicht auftaucht. Jeden Freitag packen ein paar Leute ihre Anlage in ein Auto, schnappen sich einen Generator, ein paar Lampen und ein bisschen Deko und fahren raus nach Marzahn in so ein komisches unbebautes Gestrüpp-Land zwischen großen Industriegebieten und ziehen durch bis Montag. HiTech und Darkpsy steht auf dem Plan. Laut, schnell und böse. Gut, tagsüber wird es mal etwas ruhiger, aber dass sich noch niemand beschwert hat und das jetzt schon einige Wochen in Folge durchgezogen wird ist eine absolute Besonderheit. Und wir sind mitten drin. Jeden Freitag starten wir wieder total gehyped dort hin. Immer die gleichen Leute. Auch vor Ort immer die gleichen Gesichter. Die Szene ist sehr klein. Ich bin zwar erst seit ein paar Wochen dabei, aber kenne doch schon ziemlich viele. Heute sind wieder die üblichen Leute dabei. Mein Nachbar, seine WG und die üblichen Leute, die irgendwie auch immer dabei sind. Freunde? Ich weiß es nicht. Ich hänge seit ein paar Wochen mit den Leuten rum. Kann man da schon von Freundschaft sprechen oder braucht es dafür mehr geteilte Erinnerungen? Keine Ahnung. Heute ist auf jeden Fall ein besonderer Abend. Ich habe heute ein paar tatsächliche Freunde mitgeschleppt. Jahrelange Erinnerungen verbinden uns. Wir haben auch schon viel zusammen gefeiert in den letzten Jahren. Immer auf Techno. Meist in Clubs. Seit ein paar Wochen eher weniger Kontakt. Bin ja viel mit den neuen Leuten unterwegs. Ich bin echt gespannt, wie meine Leute das finden werden. Die Musik ist eben etwas völlig anderes und erstmal gewöhnungsbedürftig. Wenn ich mir das so anschaue, wie wir hier alle in der Bahn sitzen, muss ich doch schon doll in mich rein grinsen. Ein großer Haufen verrückter Gestalten mit Dreads, bunter Kleidung, Haremshosen und irgendwelchen Spielzeugen, die im Dunkeln leuchten. Nur am Blödsinn machen, lachen, quatschen. Und dazwischen meine Freunde, die äußerlich aus dieser Gruppe herausstechen, da sie die einzigen sind, die nicht völlig bunt und durch aussehen. Immer wieder spannend, wie sich die Zugehörigkeit zu einem sozialen Gefüge im Stil der Kleidung abbildet. Ich frage mich, wie sie sich fühlen in dieser Gruppe. Augenscheinlich sind sie gut integriert und unterhalten sich, aber das heißt noch nichts. Herzlich Willkommen im Irrenhaus meine lieben Freunde! Heute Nacht werdet ihr euren Verstand verlieren und eine Reise ohne ihn antreten!

 

Ich verfalle in ein breites Grinsen und blicke aus dem Fenster. In der Scheibe spiegelt sich mein dämliches Grinsen und ich betrachte mich für einen Moment. Die Haare vorne kurz und bunt. Grün, Lila, Blau, Rot, Pink. Hinten 15 Dreads, an welche ich jeweils 2 bunte Filzwürste in allen erdenklichen Farben und Mustern rangenäht habe. Die Klamotten stehen in keinerlei Kontrast zum Haupt. Bunt ist das Programm. Plötzlich werden meine Wangen heiß und ein Geschmack von Säure, als hätte ich an einer Batterie geleckt, breitet sich in meinem Mund aus. Sämtlicher Speichel wird von den Schleimhäuten förmlich aufgesaugt. Mein Mund ist staubtrocken. Ich nehme einige große Schlücke von meinem Bier. Ich spüre, wie das Bier meinen Rachen herunterläuft in Richtung Magen. Es fühlt sich an, als würde die vermeintliche Säure in meinem Mund mit hinuntergespült werden. Unten angekommen schlägt der Gerstensaft ein wie eine Bombe. Mein Magen dreht sich um und gleichzeitig breitet sich ein Gefühl von innerer Spannung und Unruhe in meinem Körper aus. Sie steigt nach oben und schnürt mir die Luft ab. Ich schließe die Augen und sauge geräuschvoll Luft zwischen meinen Zähnen hindurch in meine Lunge um meinen Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Es breitet sich eine unglaublich starke Energie in meinem Körper aus und drückt von innen an ihr Gefängnis, welches sie zu zerreißen droht. Ich verspüre den Drang aufzuspringen, zu schreien, zu lachen, zu tanzen, zu rennen. Raus mit der Energie, raus mit ihr! Mein Körper ist jedoch wie gelähmt und ich bringe nicht einmal ein Zucken mit dem Finger zustande, geschweige denn ein Zappeln mit dem Bein. Beim Ausatmen flattert meine Atmung. Es kommt kein gleichmäßiger Luftstrom mehr zustande. Ich öffne meine Augen wieder. Meine Wahrnehmung vibriert leicht und ist irgendwie verschwommen, aber gleichzeitig ultra scharf. Es fallen mir Details auf, die ich vorher nicht gesehen habe und alles glitzert. Die Bahn bremst und draußen taucht ein Bahnsteig auf. Wir sind am Ziel. Ich hole noch einmal tief Luft und erhebe mich auf meine wackeligen Beine, die sich anfühlen wie aus Gummi. Schnell ein paar tapsige Schritte und dann bin ich raus aus der Bahn. Frische Luft schlägt mir entgegen. Orientierungsverlust für eine Millisekunde. Es scheint niemandem etwas aufgefallen zu sein. Nur mein Nachbar steuert mit einem schadenfrohen Grinsen auf mich zu, klopft mir auf die Schulter und meint: „Ich hab dir doch gesagt du sollst nur nen Halben nehmen. Das Zeug ist echt übel.“ „Alter“, presse ich heraus. Mehr geht nicht. Ich hätte wohl doch die ganzen Lines K and K und die paar Bier weglassen sollen. Er lacht und setzt sich in Bewegung. Auch ich laufe etwas unsicher auf den Beinen los und folge unserer Gruppe. Die in mir eingesperrte Energie nimmt so viel Platz ein, dass ich sehr bewusst und mit großer Anstrengung atmen muss, um meinen Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Es geht hinunter in eine Bahnhofsunterführung. Boden und Wände sind gefliest und die Schritte und Stimmen unserer Gruppe werden reflektiert. Meine Welt wird plötzlich unwirklich wie in einem Traum. Stimmen und Schritte überschlagen sich in meinem Kopf und es herrscht ein heilloses Durcheinander. Gedanken verstricken sich mit Geräuschen und werden zu einem unentwirrbaren Knäuel. Ich fixiere das Ende des Tunnels und steuere einfach nur noch darauf zu. Ein schwarzer Ring schiebt sich wie eine Vignette von der Peripherie meiner Wahrnehmung aus langsam zur Mitte. Immer enger, je näher ich dem Ende des Tunnels komme. Verdammt mir gehen die Lichter aus. Panik macht sich breit. Ich muss es bis ans Ende schaffen. Unaufhörlich laufe ich weiter und beobachte wie meine Wahrnehmung immer kleiner wird. Als meine die Realität nur noch eine kleine Scheibe mitten in diesem großen Schwarz ist, erreichen wir das Ende der Unterführung. Ich schlüpfe durch das kleine Loch. Freier dunkler Nachthimmel über meinem Kopf. Meine Wahrnehmung reißt auf. Ich bin befreit und mein Geist hat die unendlichen Weiten des Alls zur Verfügung um sich auszubreiten.

 

Ein Gefühl von grenzenloser Freude macht sich in mir breit und verdrängt langsam die einschnürende innere Unruhe. Ich atme noch einmal tief durch und spüre den Platz, der langsam in meinem Körper wieder frei gegeben wird. Mit immer noch leicht unsicheren Schritten setze ich meinen Weg fort. Wir laufen auf der Straße durch ein Industriegebiet. Hier ist alles wie ausgestorben. Wir sind alleine. Mit jedem Atemzug normalisiert sich mein Körpergefühl weiter und meine Schritte werden sicherer. Nach ein paar Hallen und Gebäudekomplexen, die aussehen als wären sie noch in Betrieb, kommen wir an leerstehenden und verlassen Hallen mit eingeschlagenen Fenstern vorbei. Die Euphorie und Freude in mir nimmt überhand und mein Gang wird leicht und federnd. Ich fühle mich als könnte ich Bäume ausreißen und mit einem Satz auf das nächste Dach springen. Nach den verlassenen Lagerhallen geht es auf einen Schotterweg rein ins Gestrüpp. In der Ferne höre ich schnell hämmernden Bass. Oh jeah. Schön schnell. Jemand legt HiTech auf! Perfekt! Die schnell hämmernden Bassschläge feuern meine innere Euphorie noch mehr an und lassen sie bis ins unermessliche wachsen. Wieder droht es mich zu zerreißen und dieses Mal kann ich nicht an mich halten. „Booaaahh, Leeuuuddeeeee, ich hab Boooock!!“, platzt es lauthals aus mir heraus und ich fange an wie ein beklopptes Hühnchen durch die Gruppe zu tanzen. „Heute geht es richtig ab! Wuhuuuuh!!“, brülle ich. Die andern fangen an zu lachen und freuen sich mit mir. Ich springe durch die Gruppe und schubse den ein oder anderen hier und da und werde zurückgeschubst. Alle freuen sich und es entsteht eine kleine spaßige Rangelei. Einer brüllt: „Du hast doch ne Macke, Alter“ und lacht sich schlapp. „Ich!? Ne Macke!? Ich hab Bock!! Das hab ich!!“, entgegne ich lautstark. Allgemeines Gelächter. Ich merke, wie ich kurz davor bin, dass mir eine Sicherung durchbrennt. Sie hängt nur noch am seidenen Faden. Gleich ist es soweit und dann gibt es kein Halten mehr. An guten Abenden passiert das früher oder später, aber so früh ist mir das noch nie passiert. Als der Weg nach einem leichten Knick, den Blick auf die durch ein Gebüsch durchscheinenden Lichter des Veranstaltungsortes freigibt und die Musik inzwischen klar zu vernehmen ist, ist es soweit. Ich renne unvermittelt los, schlage mich auf einem Trampelpfad durch das Gestrüpp und komme auf einer kleinen Lichtung raus. In der Mitte eröffnet sich mir der Blick auf ein Knäuel aus tanzenden und quatschenden Menschen. Von meiner Position aus rechts davon ist das DJ-Pult mit etwas Deko und Lichtern aufgebaut. Wie das so üblich ist, tanzen die meisten mit Blickrichtung zum DJ. Um die Gruppe Tanzender verteilen sich in einem halbrunden Ring Gruppen von Partygängern, die es sich am Boden gemütlich gemacht haben. Ich biege nach links ab und positioniere mich außerhalb des Geschehens direkt gegenüber des DJ-Pultes. Ich breite meine Arme aus und genieße den Anblick. Direkt vor mir das Halbrund aus chillenden und fröhlichen Menschen. Dann das Knäuel der tanzenden Partyverrückten, die zu den viel zu schnellen Beats mit hampeligen Körperbewegungen abzappeln oder auf der Stelle rumhüpfen und zuletzt das DJ-Pult mit großen Boxentürmen links und rechts davon, die mir die Basswellen in schneller Abfolge entgegendrücken. Um das DJ-Pult herum sind ein paar Tücher mit Löchern gespannt, die von bunten Lichtern angestrahlt werden. Etwas spartanisch, aber mit Liebe gemacht. Einfach ein wundervoller Anblick. Ein Gefühl von Heimat breitet sich in mir aus und die Freude, die ich verspüre, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Ich hole noch einmal tief Luft und stürze mich ins Getümmel. Zum Beat zappelnd und hampelnd mische ich mich in das Knäuel aus Party-Leuten in der Mitte. Ich begrüße, scherze, lache und quatsche hier und da. Nach einer unbestimmten Zeitspanne löse ich mich aus dem Gedrängel und entdecke den Großteil meiner Gruppe am Boden in dem Halbrund aus chillenden Menschen.

 

Leichtfüßig gleite ich zu ihnen rüber, stelle meinen Rucksack ab, nehme mir ein Bier heraus und öffne es lässig mit meinem Feuerzeug. Über beide Ohren grinsend frage ich meine mitgebrachten Freunde, wie sie es fänden. Geile Atmosphäre, nette Leute, aber irgendwie wisse man nicht, wie man sich zur Musik bewegen soll. Ja, das sei normal, gebe ich zurück. Einfach machen. Wenn man sich mal an die Geschwindigkeit gewöhnt hat läuft das Easy. Ich bin voll in meinem Element und wieder absolut Herr der Lage. Die maßlos übersteigerte Euphorie ist ebenfalls wieder auf ein angenehmes Level zurückgefahren. Ich bin sicher und ausgeglichen. Fast zu sicher und ausgeglichen. Irgendwie fehlt der Kick bei der ganzen Sache. Kurzer Blick auf die Uhr. 2 Stunden seitdem ich das Acid genommen habe. Dann kommt da eigentlich nochmal was nach. Die volle Wirkung ist erst nach 4 Stunden entfaltet. Ach, ich glaub ich kann heut mehr vertragen. Ich beuge mich zu meinem Nachbarn rüber und frage ihn, ob ich noch einen Tropfen haben kann. Er lacht nur und kramt in seiner Bauchtasche. „Ich hab hier ne kleine Spezialität“, sagt er grinsend und zieht eine Flasche Nasenspray heraus. „Alter, das Zeug jetzt hier?“, frage ich, sogleich verstehend. „Wo und wann denn sonst?“, gibt er zurück. Ich zucke mit den Schultern. Wo er Recht hat, hat er Recht. „Was ist das?“, will ein Kumpel von mir wissen. „Ein Sprüher entspricht circa 4 Tropfen Acid. Ist aber ne andere Substanz. Wirkt so ähnlich, aber eher optischer und nicht so auf die Psyche.“, ist die kurze Antwort. Ich schnappe ihm das Fläschchen aus der Hand und sprühe mir einmal in die Nase. ES fühlt sich an wie ganz normales Nasenspray. Er lacht und sprüht sich einmal in das linke und einmal in das rechte Nasenloch. Ich schnappe mir das Nasenspray erneut und haue auch mir noch einen weiteren Sprüher in die Nase. Mein Kumpel schaut sich das Ganze an, greift auch nach dem Nasenspray und sprüht sich einmal in ein Nasenloch. „Merkt ihr was?“, frage ich nach einigen Momenten. Als Antwort sprüht sich mein Nachbar noch eine dritte Ladung in die Nase. Ich sprühe auch zum dritten Mal und plötzlich explodieren abertausende bunte Punkte in meinem Sichtfeld. ALLES ist plötzlich bunt. Ich hebe die Hand und erkenne sie kaum vor lauter bunten Punkten. „Cool“, sage ich. Mein Kumpel sprüht sich seine zweite Ladung in die Nase. „Boah“, kommt seine Reaktion. „Was ist das denn?“, staunt er. Ich blinzele zwei Mal und kann ein wenig mehr erkennen. Die bunten Punkte legen sich langsam auf den Formen meiner Realität ab. Die Gesichter der Anderen, meine Hand. Die Natur um uns herum. Einfach alles ist überzogen mit den bunten Punkten. „Nice. Ich geh dancen.“, sage ich entspannt und erhebe mich. Die ersten paar Schritte sind etwas wackelig und ich muss sie vorsichtig setzen. Ich blicke vor mir auf den Boden, doch die bunten Punkte bleiben nicht auf dem Rasen unter mir, sondern lösen sich immer wieder von ihm und fliegen auf mich zu. Dadurch ist es mir nicht mehr ganz möglich Entfernungen richtig einzuschätzen. Teilweise mit den Händen ausgestreckt, um schlimmere Zusammenstöße im Vorfeld zu vermeiden, bahne ich mir meinen Weg zur Tanzfläche.

 

Angekommen und auf einer Stelle tanzend fällt mir die Orientierung etwas leichter. Meine Wahrnehmung verzerrt sich dennoch zunehmend. Die Menschen um mich herum verformen sich und werden mal ganz lang und schmal und mal ganz klein und breit. Die Musik befindet sich in mir drin und leitet meine Bewegungen. Das Tanzen fällt mir unglaublich leicht. Freude durchströmt meinen Körper. Ich tanze eine Weile und die Verformungen der Realität werden immer stärker. Der Blick in den Himmel ist unglaublich. Es ziehen überall bunte Schlieren über den Himmel. Es ist als würden die Lichter der Party vom All reflektiert. Ich steigere mich weiter in die Musik hinein. Die Umgebung verläuft immer mehr und klare Formen zu erkennen wird immer schwerer. Meine Bewegungen werden unkontrollierter und mein Körper langsamer. Immer wieder fallen mir die Augen zu und es schieben sich Erinnerungen vor mein Inneres Auge. Ganz Alltägliches. Szenen, die ich auf Arbeit erlebt habe. Habe ich sie überhaupt erlebt oder sind es nur Szenen, die ich erlebt haben könnte? Ich verliere zunehmend den Überblick, wo ich mich denn nun eigentlich tatsächlich befinde und welche Wahrnehmung Realität ist und welche eingebildet. Immer mal wieder habe ich einen kurzen Moment von Klarheit, nur den Bruchteil einer Sekunde und weiß, dass ich eine Droge konsumiert habe und halluziniere. Dann reißt die Musik mich wieder fort und zusammenhängende Gedanken verlieren sich in dem Durcheinander aus verzerrten Wahrnehmungen der entstellten Welt in der ich mich physisch befinde und meiner inneren Welt. Das sind schon ganz schön heftige Halluzinationen. Plötzlich fällt mir mein Kumpel ein. Der hat ja überhaupt keine Erfahrung mit solchen Substanzen. Geschweige denn mit solch starken Halluzinationen. Die Musik dröhnt und versucht mich wieder mitzureißen. Ich versuche mich zu konzentrieren und meinen Gedanken festzuhalten. Die Musik hält kräftig dagegen und versucht ihn mir zu entreißen. Es kostet mich einige Anstrengung mein Ziel nicht wieder zu verlieren und es zu vermeiden wieder aus der Realität gerissen zu werden. Ich bewege mich langsam von den Boxen weg aus dem Kreis der Tanzenden. Die Musik dröhnt in meinen Ohren und ich habe das Gefühl zurückgezogen zu werden. Ich kämpfe mich mühsam aus dem Kreis der Tanzenden Menschen heraus und in dem Moment, in dem ich die gedachte Linie zwischen Tanzfläche und Chillbereich übertrete macht es klick. Die Musik ist mit einem Schlag nicht mehr so präsent in meinem Kopf und es ist mit einem Mal stockfinster geworden. Noch vor einer Sekunde dachte ich alles wäre in warmes Licht, wie von einer Fackel getaucht und nun ist alles so Dunkel, wie es nun mal nachts draußen ohne Straßenlaternen ist. Die Kraft, die bis eben noch von der Musik ausging ist verflogen und ich kann meinen Körper entspannen. Ich drehe mich um und schaue verwirrt auf die Tanzfläche zurück. Ich könnte schwören, dass es hier gerade noch heller war. Ich kann die Stimmen der anderen Partygänger um mich herum hören. Es ist mir nur unmöglich auch nur irgendein verständliches Wort herauszuhören, da sich die Stimmen in meinem Kopf die ganze Zeit überschlagen. Ein kurzer Moment Ratlosigkeit.

 

Dann fällt mir wieder mein Kumpel ein. Ich seufze kurz und mache mich an die Suche. Mit einer Sichtweite von circa einem halben Meter bevor alles verschwommen bunt und unkenntlich wird, taste ich mich vorsichtig vorwärts. Ich stolpere ständig über Rucksäcke am Boden und muss immer unangenehm nah in die Personen herangehen um zu erkennen, ob mir mein gesuchter Freund gegenübersteht oder nicht. Ich schauen immer wieder in angewiderte oder verwirrte Gesichter, die sich von mir weg drehen. Fair enough. Ich muss auch wirklich eigenartig, wenn nicht sogar beängstigend aussehen, wie ich mit zusammengekniffenen Augen herumstolpere und nach meinem Freund suche. Ein ums andere Mal verletze ich auf unangenehme Art und Weise die Privatsphäre von fremden Leuten, bis er endlich vor mir steht. Mit weit aufgerissen Augen und offenem Mund starrt er mich an. Immer wieder schließt er fest die Augen und reißt sie danach wieder auf. „Yo, diggi, alles klar bei dir?“, brülle ich ihn viel zu laut an. Daraufhin gackere ich los wie ein verrücktes Huhn. Ich bin so fertig und durch. Ich kann nicht einmal anständig reden. Ich schaue wieder in das total zerschossene Gesicht meines Freundes und gluckse ein weiteres Mal erfreut. Wie bescheuert ich hier grade durch die Gegend gestiefelt bin. Zum Totlachen. Diese Reflexion schafft ein wenig Klarheit in meinem Kopf und ich wende mich immer noch belustigt meinem Freund erneut zu.  Er schaut verwirrt umher und sagt: „Alter. Ich kann einfach nichts sehen!“ „Ja man. Voll geil!“, antworte ich. „Nein man, ich kann wirklich nichts sehen!“, sagt er eindringlicher. „Ja, ich kann kaum die Hand vor Augen erkennen! Mega geil!“, gebe ich zurück. „Alter man! Ich kann nichts sehen!“, sagt er erneut. Ich bemerke Panik in seiner Stimme. „Alter, ich checke überhaupt nicht wo ich bin und was abgeht!“, sagt er. In meinem Kopf läuten plötzlich alle Alarmglocken. Das ist nicht mehr witzig hier. Der ist wirklich raus. In meinem Kopf herrscht immer noch heilloses Chaos und ich versuche fieberhaft ein paar meiner verstreuten Gedanken aufzusammeln und zu ordnen. Dann die Lösung. Ich schnappe ihn mir und wir steuern schwankend in Richtung des kleinen Trampelpfades von welchem wir die Lichtung erreicht haben, um von der Musik und den Lichtern weg zu kommen. Eine Freundin von uns sieht uns und kommt auf uns zu. „Alles klar bei euch?“, fragt sie. Ich vergreife mich wieder in der Lautstärke und auch an sie geht meine Antwort etwas zu laut raus. Wir schlagen uns zu dritt durch das Gestrüpp, während ich mich weiterhin köstlich über meine eigene Unfähigkeit amüsiere. Ein Stück weiter weg von der Party ist die Musik deutlich leiser und ich kann mich wieder besser konzentrieren. Wir setzen uns auf den Boden. „Alter, was ist das denn für ne Scheiße! Ich hab gar nichts mehr gecheckt. Alles war bunt und verschwommen und meine Gedanken sind mir die ganze Zeit entglitten und ich konnte überhaupt nicht mehr definieren was los war.“, sagt mein Kumpel sichtlich erschöpft und am Ende. „Ja, das kommt durch die Mucke. Die verdreht einem den Schädel.“, antworte ich begleitet von einem Glucksen. Meine Wahrnehmung normalisiert sich in der ruhigen Umgebung weiter. Das ist nicht meine erste Grenzerfahrung, bei der sich mein Verstand mehr oder weniger verabschiedet. Doch mit Abstand die heftigste. Ich kann ihn auf jeden Fall verstehen, wenn ich an meine ersten Trips denke, in denen mir meine Wahrnehmung solche Streiche spielte. Damals fand ich das auch überhaupt nicht lustig. Meinem Kumpel steht der Schock ins Gesicht geschrieben. „Alter, ich kann da nicht wieder hin gehen.“, sagt er mit belegter Stimme zu uns. „Yo, du kannst zu mir und da chillen. Zu mir sinds nur 5 Stationen“, biete ich ihm an. „Ich bringe dich auch hin.“, sagt unsere Freundin. „Ich wollte eh nochmal Bier holen gehen.“ Gesagt, getan. Die beiden brechen auf und ich mache mich leise vor mich hin glucksend wieder auf den Weg zurück zur Party.

 

Ich komme am Ort des Geschehens an und stelle fest, dass ich meine Gedanken gerade einigermaßen beisammenhalten kann und auch besser sehe. Ich erkenne meine Gruppe, berichte kurz, krame noch ein Bier aus meinem Rucksack und begebe mich wieder in den tanzenden Knäuel. Die Tanzfläche ist in der Zwischenzeit deutlich voller geworden. Ich fokussiere mich wieder auf die Musik und versuche meinen Kopf erneut zu entleeren, die Kontrolle meiner Bewegungen abzugeben und von der Musik übernehmen zu lassen. Meine Wahrnehmung entgleitet mir dadurch wieder zunehmend. Formen werden undefinierter und sind nicht mehr deutlich voneinander abgetrennt. Formen und Farben gehen ineinander über. Die Tanzfläche ist schlagartig leerer geworden. Ich kann wieder zwischen den Menschen hindurch blicken und die Tücher mit den Löchern darin sehen. Um unsere Knöchel bilden sich leichte Nebelschwaden und bedecken den Boden. Dunkle Bässe rollen über mich herüber. Unverständliche Stimmen murmeln bedrohlich. Ist das in der Musik? Sind das die anderen Leute um mich herum oder kommt das aus meinem Inneren? Plötzlich klettern aus den Löchern der Tücher schwarze schemenhafte vermummte Gestalten und mischen sich unter die Tanzenden. Sie stehen verteilt und tanzen dennoch synchron denselben Tanz. Immer wieder lassen sie ihre schemenhaften Arme über ihren Köpfen in Wellen schlängeln. In all ihren Bewegungen stellen sie einen perfekten Ausdruck der Musik dar. Ich blicke zum Boden. Der Nebel vor meinen Füßen lichtet sich und gibt den Blick auf ein tiefes Loch frei. Schienen führen in das Loch, aus welchem es orange-rot schimmert. Auf einer Lore fahre ich die Schienen hinunter in das Loch mit rasanter Geschwindigkeit durch einen felsigen Tunnel. Nach zwei harten Kurven ist der Tunnel unvermittelt zu Ende und ich fahre über scheinbar in der Luft schwebende Schienen in eine große Höhle. Zu meiner Rechten kann ich in der Ferne einen Wasserfall aus Lava in die Tiefe stürzen sehen und ein Drache kreuzt meinen Weg und speit einen großen Feuerball in die dunklen Weiten der riesigen Höhle. Ich öffne die Augen und vor mir sehe ich den Rücken eines Tanzenden. Meine Nase befindet sich lediglich 20 Zentimeter von seiner Jacke weg. Erneut muss ich laut lost prusten. Alter, ist das geile Scheiße. Die Musik ist wieder schnell und zackig und ich gliedere mich wieder in das Party-Geschehen ein. Ich lasse mich treiben und gebe schließlich endgültig die Kontrolle meines Körpers auf. Das Bewusstsein entgleitet langsam und lässt mich zurück in einem reinen Zustand des Tanzens.

 

Einige Stunden später, es ist inzwischen hell, löse ich mich aus meiner Trance und blicke umher. Verschwitzte dreckige Gestalten hampeln immer noch um mich herum. Ich schaue in starre Augen und verrückte Gesichter. So gut wie Niemand spricht. Die meisten Leute sind versunken in den Untiefen ihrer Psyche. Schlagartig fühle ich mich verloren und unwohl. Ist hier überhaupt noch irgendjemand, den ich kenne? Vielleicht sollte ich nach Hause gehen. Da bin ich letzten Endes auch nur wieder alleine. Ich muss mich mit jemandem unterhalten. Hinten auf einer Decke erkenne ich eine Gruppe Leute, die ich entfernt über meinen Nachbarn kenne. Ich begrüße unsicher und setze mich. Die Gespräche überfordern mich und ich kann nicht folgen, geschweige denn selbst etwas sagen. Also schaue ich abwechselnd auf die jeweils redende Person und tue wenigstens so als würde ich zuhören. Ich fühle mich elend. Nach einer Weile starre ich nur noch vor mich hin und denke an mein klägliches Leben in das ich wohl oder übel demnächst zurückkehren muss. Dauerhaft umgeben von Menschen, aber immer allein. Ich werde von der Seite gestupst und aus meinen Gedanken gerissen. Jemand hält mir das Nasenspray hin. Oh! Ich glaube ich habe gerade eine Möglichkeit gefunden noch ein paar Stunden hier zu verweilen. Ich nehme es und sprühe mir ein weiteres Mal in beide Nasenlöcher. Ich schließe die Augen für einen kurzen Moment und öffne sie wieder. Ich sehe die Welt verschachtelt in Prismen, wie durch ein Oktaskop. Orientierung unmöglich. Okay. Augen nochmal zu und wieder auf. Immer noch. Noch einmal. Immer noch. Na gut, dann ist wohl abwarten angesagt. Eine unmöglich ihrer Länge nach zu bestimmende Spanne an Zeit vergeht. In der Mitte meines Sichtfeldes tut sich schließlich ein kleiner Kreis auf durch den ich die Welt um mich herum zumindest in diesem kleinen Ausschnitt gewinnbringend, was die Orientierung angeht, erkennen kann. Ich kehre vorsichtig zu meinem Platz auf der Tanzfläche zurück und bin wieder allein. Allein.

 

WICHTIGE ANMERKUNG FÜR DEN LESER:

 

In dieser Geschichte werden die Tage nach dem beschriebenen Abend nicht thematisiert. Drogen sind toxisch und haben erhebliche Nebenwirkungen. Sie schädigen den Körper stark. Zudem besteht vor allen Dingen bei psychodelischen Drogen immer die Gefahr, dass die Erfahrungen, die gemacht werden, die Psyche des Konsumenten überlasten und es zu langfristigen psychischen Schäden kommt. Ich möchte den Leser noch einmal daran erinnern, dass dies eine Geschichte ist! Die Realität sieht anders aus. Von der Nachahmung wird daher eindringlich abgeraten.

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Sätze: 398
Wörter: 4.485
Zeichen: 26.150

Kurzbeschreibung

Der Leser wird mitgenommen zu einem sehr verlebten Freitagabend.